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Migration, Asyl & Flucht: Was steht in den Kantonsparlamenten der Ostschweiz an? (Herbst 2025)

  • skriech
  • 15. Sept.
  • 7 Min. Lesezeit

Viele politische Entscheide zu Migration und Asyl fallen nicht nur im Bund, sondern auch in den Kantonen. Hier wird z. B. geregelt, wie Unterkünfte organisiert werden, wie Beratung finanziert wird oder wie sich der Kanton gegenüber dem Bund positioniert.


Dieser Beitrag gibt einen einfachen Überblick über relevante Herbst-Geschäfte der Kantone in unserem Einzugsgebiet. Wir erklären kurz, worum es geht, warum es wichtig ist und geben eine Einschätzung aus Sicht des Solidaritätsnetz Ostschweiz.


Regierungsgebäude St.Gallen
Regierungsgebäude St.Gallen

Kantone Thurgau (TG), Appenzell Innerrhoden (AI) und Appenzell Ausserrhoden (AR)


In den kürzlich vergangenen sowie bevorstehenden Sitzungen dieser Kantone sind keine Geschäfte aufgeführt, die Migration-, Asyl- oder Fluchtfragen betreffen (Stand 15.09.25). Falls sich kurzfristig etwas ändert, ergänzen wir den Beitrag.


Überblick der Sitzungsdaten im Herbst 2025:

Kanton TG: 10.09. / 29.09. / 22.10. / 05.11.

Kanton AR: 22.09. / 27.10.

Kanton AI: 16.09. (ausserordentlich) / 20.10.



Kanton St.Gallen – Herbstsession 2025 (15.–17. September)

Die Herbstsession tagt gerade und hier ist einiges im Gange. Nachfolgend listen wir die relevanten Geschäfte auf und erklären sie in einfachen Worten. Wir aktualisieren diesen Abschnitt nach der Session.


Gesetzgebungen

VIII. Nachtrag zum Sozialhilfegesetz (Zuweisung von Wohnraum für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene)

Worum geht es? Der Kanton St.Gallen will Gemeinden ermöglichen, anerkannten Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen Wohnraum als Sachleistung zuzuweisen. Das schränkt für Betroffene, die Sozialhilfe beziehen, die freie Wohnortwahl ein. Die Regierung selbst stuft die Vorlage als problematisch ein (mögliche Verstösse gegen Völker- und Bundesrecht).


Warum ist das wichtig?

  • Eingriffe in die Wohnfreiheit können Integration erschweren und könnten gegen Art. 26 der Flüchtlingskonvention und Vorgaben des Bundesrechts gehen.

  • Ziel ist, Belastungen einzelner Gemeinden zu reduzieren, indem die Verteilung steuerbar wird; gleichzeitig drohen Rechtsstreitigkeiten und zusätzlicher Verwaltungsaufwand.

  • Erste Lesung fand im Juni statt; in der Detailberatung wurde u.a. ein Antrag der Regierung auf Streichung einer zentralen Bestimmung abgelehnt. In der Herbstsession ist die zweite Lesung traktandiert.


Sicht Solidaritätsnetz: Erzwungene Wohnzuweisung für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene bergen erhebliche rechtliche Risiken und gefährden gelingende Integration. Sinnvoller sind Unterstützungspakete für Gemeinden (z.B. Wohnraumbeschaffung, Beratung, Integrationspauschalen und Koordination zwischen Gemeinden), statt Grundrechte einzuschränken.


Geschäftsnummer: 22.25.03

Quelle: https://www.ratsinfo.sg.ch/gremium/468/geschaefte/6285#overview


Motionen

(Was ist eine Motion? Hier wir erklärt: Begriffserklärung Kanton St.Gallen oder easyvote - Lexikon)

Bezahlkarten für Personen des Asylbereichs im Kanton St.Gallen

Worum geht es? Die Motion verlangt, dass der Kanton Bezahlkarten (statt Bargeld) für Personen im Asylbereich einführt und dafür das st. gallische Sozialhilfegesetz anpasst. Die Regierung beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwandeln: Zuerst soll ein Bericht mit Erfahrungen von Bund und anderen Kantonen erarbeitet und die Einführung koordiniert geprüft werden.


Warum ist das wichtig? Betroffen wären Asylsuchende, anerkannte Flüchtlinge, vorläufig Aufgenommene, Personen mit Schutzstatus S sowie weggewiesene Personen, also sehr unterschiedliche Lebenslagen. Für Asylsuchende und Schutzbedürftige ohne Bewilligung sieht das Bundesrecht bereits eine Ausrichtung «nach Möglichkeit als Sachleistungen» vor; Bezahlkarten würden als solche Sachleistungen geprüft. Gleichzeitig liegt ein Teil der Zuständigkeiten bei den Gemeinden, die heute schon über die Art der Unterstützung mitentscheiden können. Finanz- und Umsetzungsfragen (Gebühren, IT/Administration, Ausnahmen) sind laut Regierung noch offen.


Sicht Solidaritätsnetz: Wir stellen uns klar gegen die Einführung einer Bezahlkarte. Sie ist diskriminierend, schränkt die Selbstbestimmung und Würde der Betroffenen massiv ein und schafft zusätzliche Hürden im Alltag. Beispiele aus anderen Kantonen und aus Deutschland zeigen: Mit der Karte können viele alltägliche Dinge nicht mehr bezahlt werden (z. B. kleine Einkäufe am Markt oder Taschengeld für Kinder), Betroffene werden stigmatisiert, und der Verwaltungsaufwand steigt statt zu sinken.

Statt Unterstützung erfahren geflüchtete Menschen so mehr Kontrolle und Misstrauen. Die wenigen Franken pro Tag, die Asylsuchende erhalten, müssen flexibel einsetzbar sein, weil sie ohnehin kaum zum Leben reichen. Eine Bezahlkarte löst keine Probleme, sondern verschärft soziale Ausgrenzung.


Geschäftsnummer: 42.25.04

Quelle: https://www.ratsinfo.sg.ch/gremium/468/geschaefte/6371


Interpellationen

(Was ist eine Interpellation? Hier wir erklärt: Begriffserklärung Kanton St.Gallen oder easyvote - Lexikon)

Massnahmen zur Erhöhung der Erwerbsquote bei Personen mit Schutzstatus S

Worum geht es? Die Interpellation fragt die St.Galler Regierung, welche konkreten Schritte der Kanton unternimmt, damit mehr Personen mit Schutzstatus S rasch und dauerhaft arbeiten können. Hintergrund sind die bundesweiten Integrationsziele und Massnahmen, mit denen der Bundesrat die Erwerbstätigenquote deutlich erhöhen will.


Warum ist das wichtig? Arbeit stärkt die Eigenständigkeit Geflüchteter, entlastet die Gemeinden und Sozialhilfe und nutzt vorhandene Fachkräftepotenziale. Im Kanton St.Gallen wurden 2024 (Jan–Nov) 644 Arbeitsgesuche von Personen mit Status S bewilligt; schweizweit lag die Erwerbstätigenquote 2024 noch um 25 %. Zielgrössen von Bund/Kantonen sind 40 % bis 50 % je nach Aufenthaltsdauer.


Solidaritätsnetz-Sicht: Grundsätzlich sinnvoll sind Hürdenabbau und pragmatische Integrationsschritte (z. B. Meldepflicht statt Bewilligung, Kantonswechsel bei fester Stelle/Ausbildung). Entscheidend ist, dass der Fokus auf Förderung statt Sanktion liegt: schneller Spracherwerb, Anerkennung von Diplomen, Zugang zu Kinderbetreuung sowie faire Lohn- und Arbeitsbedingungen. Solche Massnahmen verbessern real die Jobchancen und verhindern Diskriminierung.


Geschäftsnummer: 51.24.81

Quellen:

https://www.ratsinfo.sg.ch/gremium/468/geschaefte/6172

https://www.berichte.sg.ch/geschaeftsbericht-der-regierung-2024/berichte/volkswirtschaftsdepartement/mehr-erwerbstaetige-mit-schutzstatus-s.html?utm

https://www.news.admin.ch/de/newnsb/wOP8w2N2zlMRvR6WElp3w?utm

https://www.fluechtlingshilfe.ch/medienmitteilungen/status-s-huerden-arbeitsintegration?utm


Aufforderung an den Bundesrat zum Handeln im Asylbereich

Worum geht es? Diese Interpellation der SVP verlangt Auskunft von der St.Galler Regierung, wie sie den Bundesrat zum Handeln im Asylbereich bewegen will. Hintergrund sind die Herausforderungen der Unterbringung, Finanzierung und Integration von geflüchteten Menschen, welche die Kantone und Gemeinden gemäss der Partei stark belasten.


Warum ist das wichtig? Asylverfahren beeinflussen direkt die Lebenssituation von Geflüchteten, da lange Wartezeiten Unsicherheit und Abhängigkeit verstärken. Gleichzeitig belasten Verzögerungen Gemeinden finanziell und organisatorisch. Effiziente Abläufe stärken die Rechte der Schutzsuchenden und helfen, Ressourcen besser einzusetzen.


Solidaritätsnetz-Sicht: Wir sehen die Gefahr, dass solche Vorstösse primär Druck auf den Bund ausüben sollen, ohne konkrete Verbesserungen für die Betroffenen auf kantonaler Ebene anzustreben. Aus unserer Sicht braucht es konstruktive Zusammenarbeit statt symbolische Forderungen. Zentral ist, dass die Rechte von Asylsuchenden gewahrt bleiben und Bund, Kantone und Gemeinden gemeinsam Lösungen entwickeln, und dies nicht auf dem Rücken der geflüchteten Menschen ausgetragen wird.


Geschäftsnummer: 51.24.98

Quelle: https://www.ratsinfo.sg.ch/gremium/468/geschaefte/6279


Menschenhandel und Prostitution – sind Polizei und Staatsanwaltschaft noch Herr der Lage?

Worum geht es? Die Interpellation thematisiert, wie gut Polizei und Staatsanwaltschaft im Kanton St.Gallen gegen Menschenhandel und Ausbeutung im Bereich Prostitution vorgehen können. Gefragt wird, ob die vorhandenen Mittel und Strukturen ausreichen, um Betroffene wirksam zu schützen und Täter*innen konsequent zu verfolgen.


Warum ist das wichtig? Auch wenn nicht ausdrücklich erwähnt in dieser Interpellation, sind geflüchtete Frauen besonders gefährdet, Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung zu werden. Hier ist die Istanbul-Konvention zentral: Sie verpflichtet die Staaten, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu bekämpfen und Schutzmassnahmen umzusetzen. Speziell wichtig ist Artikel 60, der ausdrücklich auf die Situation von geflüchteten und asylsuchenden Frauen eingeht und sicherstellen soll, dass diese vor geschlechtsspezifischer Gewalt geschützt werden.


Unsere Einschätzung (Solidaritätsnetz-Sicht): Der Kanton muss die Istanbul-Konvention konsequent umsetzen, gerade auch im Asyl- und Flüchtlingsbereich. Dazu gehören spezialisierte Beratungsstellen, sichere Unterbringung sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Fachorganisationen. Aus Solidaritätsnetz-Sicht ist klar: Der Schutz von Betroffenen muss immer Vorrang vor aufenthaltsrechtlichen Fragen haben. Nur so können besonders verletzliche Personen, wie geflüchtete Frauen, wirksam geschützt werden.


Geschäftsnummer: 51.25.03

Quelle: https://www.ratsinfo.sg.ch/gremium/468/geschaefte/6363


Schweizerpässe nicht verschenken: Wo kann der Kanton St.Gallen bei der Einbürgerung strenger werden?

Worum geht es? Die SVP stellt mit dieser Interpellation die Frage, ob der Kanton St.Gallen bei der Einbürgerung die Vorgaben strenger umsetzen soll. Im Zentrum stehen mögliche Verschärfungen bei den Anforderungen an Integration, Sprache oder wirtschaftliche Selbstständigkeit.


Warum ist das wichtig? Einbürgerung betrifft das zentrale Recht auf Zugehörigkeit und gesellschaftliche Teilhabe. Strengere Regeln können Hürden für langjährig anwesende Menschen, und damit auch für Geflüchtete, erhöhen, obwohl sie bereits Teil der Gesellschaft sind. Für Gemeinden bedeutet das zusätzliche Prüfaufwände und oft auch eine politisch aufgeladene Debatte.


Solidaritätsnetz-Sicht: Wir lehnen eine Verschärfung der Einbürgerungspraxis im Kanton St.Gallen ab. Die bestehenden Hürden sind bereits hoch, und zusätzliche Einschränkungen wirken diskriminierend. Einbürgerung sollte als konsequenter Schritt zur vollen Integration verstanden werden und nicht als Privileg, das möglichst schwer zugänglich gemacht wird. Wer hier lebt, arbeitet und Teil der Gesellschaft ist, soll auch die gleichen Rechte haben. Geschäftsnummer: 51.25.25

Quelle: https://www.ratsinfo.sg.ch/gremium/468/geschaefte/6379

Fremdenpolizei – Stand Personalakten

Worum geht es? Die Interpellation von Kantonsrat Sulzer thematisiert die Praxis der Fremdenpolizei, die zwischen 1934 und 2002 Personalakten über migrantische Arbeiter*innen und deren Familien anlegte. Diese Akten dokumentierten und kontrollierten das Familienleben, oft mit der Folge, dass Zusammenleben verhindert wurde.


Warum ist das wichtig? Die Akten sind für migrantische Familien zentral, weil sie strukturelle Gewalt dokumentieren und Aufarbeitung ermöglichen. Transparenz schafft die Grundlage für Genugtuung und verhindert, dass dieses Kapitel unsichtbar bleibt.


Solidaritätsnetz-Sicht: Wir unterstützen diese Anfrage. Auch migrantische Familien haben ein Recht auf Transparenz und Anerkennung erlittenen Unrechts. Eine Übersicht über die noch vorhandenen Akten ist unerlässlich, damit die Geschichte aufgearbeitet werden kann.


Geschäftsnummer: 51.25.35

Quelle: https://www.ratsinfo.sg.ch/gremium/468/geschaefte/6441


Wie gelingt eine Frühe Integration von Menschen mit Flüchtlingsstatus und vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen?

Worum geht es? Die Interpellation fragt die Regierung, mit welchen Massnahmen eine frühe Integration von anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen im Kanton St.Gallen gefördert werden kann. Dabei geht es um Themen wie Sprachförderung, Bildung, Arbeitsmarktintegration und Wohnsituation.


Warum ist das wichtig? Frühe Integration schafft Stabilität und Perspektiven für Geflüchtete, stärkt ihre Eigenständigkeit und erleichtert die Teilhabe an der Gesellschaft. Auch für Gemeinden ist dies von Vorteil, da dies weniger Abhängigkeit von Sozialhilfe bedeutet.


Solidaritätsnetz-Sicht: Wir begrüssen die Diskussion zur frühen Integration. Neben arbeitsmarktpolitischen Aspekten sind aber auch andere Bereiche zentral: Zugang zu Bildung, Sprachkursen, Gesundheitsversorgung und Wohnmöglichkeiten. Integration gelingt nur, wenn Geflüchtete von Beginn an als Teil der Gesellschaft anerkannt werden, mit klaren Rechten und ohne zusätzliche Hürden.


Geschäftsnummer: 51.25.53

Quelle: https://www.ratsinfo.sg.ch/gremium/468/geschaefte/6462


Personen im Asylbereich lassen sich in den Spitälern und im Notfall grosszügig behandeln – die Schweizer bezahlen

Worum geht es? Diese SVP-Interpellation stellt die Kosten für Gesundheitsleistungen von asylsuchenden Personen infrage. Sie kritisiert angeblich „grosszügige“ Behandlungen in Spitälern und Notfallstationen und möchte wissen, wie diese Ausgaben kontrolliert und finanziert werden.


Warum ist das wichtig? Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist ein Grundrecht und darf nicht von Aufenthaltsstatus oder Herkunft abhängig gemacht werden. Gleichzeitig sind Gemeinden und Krankenkassen an einer transparenten und fairen Kostenregelung interessiert. Eine problemorientierte Diskussion muss aber zwischen notwendiger Versorgung und politischen Vorurteilen unterscheiden.


Solidaritätsnetz-Sicht: Wir lehnen diese stigmatisierende Darstellung von Geflüchteten im Gesundheitswesen ab. Menschen im Asylverfahren haben Anspruch auf die notwendige medizinische Behandlung, so wie alle anderen auch. Der Fokus sollte auf fairer Finanzierung, guter Koordination und Vermeidung von Notfallüberlastung liegen, nicht auf der Verbreitung von Vorurteilen. Dementsprechend erwarten wir eine sachliche Antwort der Regierung.


Geschäftsnummer: 51.25.60

Quelle: https://www.ratsinfo.sg.ch/gremium/468/geschaefte/6475

Zum Schluss

Unser Ziel ist Übersicht statt Detailtiefe. Wenn du Fragen zu einem der Themen hast oder wissen willst, was es für Betroffene bedeutet, melde dich gerne beim Solidaritätsnetz Ostschweiz.


Ausserdem: Auch auf Bundesebene läuft so einiges. Die Organisation Solidarité sans frontiers hat einen Überblick zu den Geschäften der Herbstsession (08.-26. September) zusammengestellt: Hier geht's zum Überblick



 
 
 

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