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Zusammen schaffen wir es – die Geschichte der Familie Omer*

  • skriech
  • vor 24 Stunden
  • 7 Min. Lesezeit

Seit Langem steht Coni Heule an der Seite der Familie Omer und wird dabei von einem Netz aus solidarischen Menschen unterstützt. Für unseren Blog hat Coni Heule diese gemeinsame, bewegende Geschichte – eine Geschichte von Menschlichkeit, Mut und tiefer Solidarität - aufgeschrieben. Mit ihren Worten ermöglicht sie uns einen berührenden Einblick in einen Weg, der von Herausforderungen, Hoffnung und echter Verbundenheit geprägt ist.

Wir wünschen eine herzerwärmende Lektüre!

(*Um die betroffene Familie zu schützen, habe ich ihre Namen verändert. Coni Heule)


2021. Ich war damals 51 Jahre alt, lebte mit meinem Mann und unseren drei Kindern in Widnau (unsere Heimat – hoffentlich müssen wir nie weg von hier!) - wo auch die junge Familie Omer lebte. Als Klassenhilfe im Doppelkindergarten lernte ich Azad und Ahmed Omer kennen. Omers Buben verhielten sich anständig, freundlich und respektvoll gegenüber allen. Die Begegnungen mit den Eltern waren ebenso – sie lebten diese Werte den Kindern vor. Bei den Informationsabenden war immer der Vater, als einziger Mann in den Mütterrunden, herausgestochen. Er machte jeweils interessiert und ganz selbstverständlich mit. Seine Sprachgewandtheit fiel mir sofort auf. “Ein kluger Mann, dem Schule und Bildung wichtig sind”, dachte ich mir. Die Mutter, mit dem kleinen Bruder, war immer bei den Bastelmorgen dabei und backte jeweils sehr fein für die Geburtstage. Wir wussten, sie war Analphabetin (in Irak nicht unüblich) und bemühte sich in Deutschkursen. Der Umgang mit ihren Kindern war sehr liebevoll, und so behandelten die Buben auch sie. Das war schön zu sehn. Ich habe die ganze Familie als bescheiden, anständig und warmherzig erlebt.


Beide Buben waren sehr beliebt in ihren Klassen. Ein Jahr zuvor erhielt Azad von seinen Kindigspänli und deren Eltern den Schülerthek geschenkt – diese wunderbare Geste war herzergreifend. Ahmeds Kindergartenabschied fiel in die Coronazeit. Die Eltern in seiner Klasse konnten sich gar nie richtig kennenlernen, die sozialen Kontakte waren auf null gesetzt, und darum wollte meine Familie gerne den Schulranzen für Ahmed kaufen. Und so begann unser gemeinsamer Weg – von dem wir beide damals gar nicht wussten – mit grosser Dankbarkeit ihrerseits und grossem Gerührtsein unserseits. Keiner von uns ahnte, dass dieser Weg bereits noch im selben Jahr sehr hart und steinig werden würde, voller Hilflosigkeit, Sorgen, Traurigkeit und Ungewissheit.


Die irak-kurdische Familie Omer hatte bereits 3 ½ Jahre bei uns in Widnau gelebt. Die beiden grösseren Buben waren schon in der 1. und 2. Klasse und wunderbar integriert. Waren. Am 6. Dezember 2021 wurde die Familie Omer vom Migrationsamt aus Widnau weggewiesen – von einem Tag auf den anderen. Die Kinder konnten sich nicht einmal von ihren Gspänli verabschieden. Die Betroffenheit in der Schule und bei uns im Doppelkindi, bei den Erwachsenen und bei den Kindern, war gross. Die Leute erkundigten sich nach der Familie. Omers kamen ins Ausreise- und Nothilfezentrum Vilters. Was ich von dort erfuhr, machte mich sprachlos: Familien mit Kindern leben dort in einem engen Raum, mit Stockbetten, ohne Tisch und ohne Stuhl, ohne Privatsphäre, ohne Perspektive. Sozan, die Mutter, sagte bei der Ankunft nur: „Jetzt hilft uns kein Mensch mehr. Jetzt sind wir allein.“


“Nein, Ihr seid nicht allein! Es tut uns leid, wie man Euch behandelt - das ist nicht richtig! Wir sind da für Euch!” Gemeinsam mit den Kindergärtnerinnen, den Kindern und deren Eltern, begann ich die Familie zu unterstützen – mit Telefongesprächen, mit Briefen und Besuchen. Die Kinder schickten Zeichnungen hin und her. Die Familien der Gspänli gaben uns Esswaren, Hygieneartikel, Kleider, Spielsachen, Briefe und vorallem Solidarität und Hoffnung mit. An Weihnachten war der Kofferraum besonders voll und auch ein kleiner Weihnachtsbaum zum Schmücken durfte nicht fehlen – auch wenn das unser Brauch und nicht ihrer war – die Freude war riesengross. Ich werde diesen Tag nie vergessen – die Traurigkeit, aber auch die riesige Freude über ein wenig Mitgefühl.


Ein bisschen Weihnachten nach Vilters gebracht. ANZ Vilters 2021
Ein bisschen Weihnachten nach Vilters gebracht. ANZ Vilters 2021

Ich bin diesen Weg einfach mit Omers weitergegangen und mit mir meine Familie, und die Kindergärten (Lehrerinnen, Kinder, Eltern) habe ich auch mitgenommen. Über SRFDokumentationen lernte ich, wie hart das Nothilfesystem wirklich ist. Ich begann Kontakte zu knüpfen, suchte Rat, informierte mich. Pfarrer Daniel Winkler aus Riggisberg (riggiasyl.ch) wurde zu einer wichtigen und grossen Stütze, ebenso Päuli aus Widnau, der sich seit Jahren für Geflüchtete einsetzt. Durch sie kam ich zum Solinetz, zu Maya Leu und Paul Marti und all den Helfern. So entstand das Netzwerk Omer. Gottlob dafür, denn ohne sie alle hätten wir es niemals geschafft! Ich fühlte mich manchmal überfordert und einsam, aber nie allein.


In einer schlaflosen Nacht hatte ich eine “Eingebung”: Wenn 44 Menschen je 50 Franken im Monat spenden würden – müsste das reichen, für Miete und Lebensunterhalt, für die Familie Omer. Am 18. Dezember 2021 verschickte ich über 100 Briefe an alle Leute, die mir in den Sinn gekommen waren. Ich dachte, es wäre einfach, genügend Spender zu finden, schliessich kannte ich ganz viele gute Menschen und alle hatten mehr als genug Geld. Ich lag falsch. Die Leute waren gerne bereit, alte Kleider und Spielsachen zu spenden, aber beim Geld … - da hörte die Nächstenliebe auf. Meine Enttäuschung war riesengross und “meine persönliche soziale Säule” brach ein. Es sind nur CHF 50.- pro Monat, nur CHF 1.66 pro Tag, ein Klacks für uns – aber für eine ganze 5-köpfige Familie kann es Freiheit bedeuten.


Geholfen haben schlussendlich die Familien der Kindergartengspänli, Nachbarn und auch einfach gute Leute, die von der Sache gehört hatten – ich nenne sie alle “liebe gute Menschen” es sind 35. Aber nur dank der grosszügigen Hilfe von riggi-asyl (mit Pfarrer Daniel Winkler) und dem Solinetz St. Gallen haben wir das nötige Geld schlussendlich zusammengebracht. Die beiden Organisationen und natürlich alle Menschen hinter ihnen, gehören selbstverständlich auch zu den “lieben guten Menschen”. Diese “lieben guten Menschen” rühren mich noch heute zutiefst, und ich werde ihnen ewig dankbar sein! Wir durften von Anfang an die Dauerauftragsspenden über das Solinetzkonto laufen lassen, wovon dann jeden Monat die Miete und die Lebensunterhaltskosten überwiesen wurden. Paul Marti hält eine Auge auf die “Omer-Zahlungen”, und jeweils im Januar bekommen wir eine Spendenbestätigung. Ich bin sehr dankbar und erleichtert über diese saubere, offizielle Möglichkeit. Denn in meinem früheren Leben war ich auch mal gelernte Bankkauffrau - ein korrekter Ablauf war mir sehr wichtig.


Ich führe auch selbst über jeden Spendenfranken Buch. Ausserdem halt ich die “lieben guten Menschen” mit Berichten “Wie geht es Omers?” regelmässige auf dem Laufenden. Mittlerweile sind es über 20 Rundbriefe geworden.


Nach langer Suche fanden wir im April 2022 eine Wohnung in Wil SG. Mein Mann und ich wurden die offiziellen Mieter, Miran und Sozan die Untermieter. Die Möbel kamen allesamt von unseren „lieben guten Menschen“. Wir haben uns alle sehr für die Familie gefreut. Ein riesiger Schritt in Richtung Freiheit für Omers - endlich wieder mehr als ein Zimmer, Rückzugsmöglichkeiten, eine Küche, ein eigenes Badezimmer, Privatsphäre, Sicherheit, Normalität. Die Kinder wurden von der Schulgemeinde herzlich aufgenommen. Ein Satz des Schulleiters berührt mich bis heute: „Jedes Kind in der Schweiz hat ein Recht auf Bildung – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Sie sind herzlich bei uns willkommen.“ Menschlichkeit, Seelennahrung!


April 2022 in Wil: “Zuhause”, was für ein wunderbares Wort!


Miran engagierte sich sofort ehrenamtlich beim Solinetz Wil, bei Caritas und Cafitass. Er half in der Küche, im Lager, an der Kasse, im Café und auch als Coiffeur – und wurde bald Küchenchef beim Solinetz. Für ihn war klar: „Ich muss etwas tun, sonst werde ich verrückt.“ Solinetze sind einfach wunderbar! Sie geben Menschen eine Heimat, eine Zugehörigkeit. Bis heute darf Sozan dort Deutsch lernen, was enorm wichtig ist für sie. Das Solinetz hat die Familie in vielen Belangen unterstützt, z. B. auch bei der Suchen nach einem Arzt oder bei Sprachzertifikaten.


Trotz aller Fortschritte lebte die Familie weiter mit Angst – ohne offizielle Bewilligung, jederzeit von Ausschaffung bedroht. Doch nach fünf Jahren in der Schweiz durften sie ein Härtefallgesuch einreichen. Gemeinsam bereiteten wir alles vor, mit einer fachkundigen Anwältin (es sollte alles perfekt sein): Referenzschreiben, Unterschriften und Nachweise über Integration und Deutschkenntnisse. Am 14. Juni 2023 ging das Dossier ans Migrationsamt – 15 Seiten stark, mit 67 Unterstützungsschreiben, unter anderem von Caritas, Solinetz und Schulen. Dann warteten wir … und warteten … zwei lange Jahre lang. Am 7. Juni 2025 kam endlich der erlösende Entscheid: „Bewilligung B – berechtigt zur Erwerbstätigkeit“. Unsere Freude war unbeschreiblich! Für Omers bedeutet das – endlich keine Angst mehr und die endgültige Freiheit so nah! Nach 7 Jahren in der Schweiz, darf Miran mit 34 Jahren nun endlich offizielle arbeiten und die Zukunft planen.


Miran ist hochmotiviert eine Lehre oder Arbeit im technischen Bereich zu beginnen, als Elektroinstallateur oder Automatiker, z.B. Die lange Wartezeit hatte er genutzt und sich mit der Berufswahl beschäftigt. Er organisiert alles selbst und mit grossem Engagement. Drücken wir ihm die Daumen, dass (s)eine Türe aufgeht – das letzte Stück zur Eigenständigkeit! Ich bin sehr stolz auf die Familie Omer und habe grosse Achtung davor, wie sie ihr schwieriges Leben gemeistert haben – ohne murren und klagen. So viele Steine lagen auf ihrem Weg.


Wir sind Freunde geworden und reden über Gott und die Welt, lachen, teilen Sorgen und Freuden. Omers sind sehr dankbare Menschen, und diese Dankbarkeit berührt mich jedes Mal aufs Neue – sie schicken Karten, Briefe und bringen selbst gebackenes Brot und Essen und Geschenke vorbei. Und ebenso berühren mich all die “lieben guten Menschen”, die die Familie Monat für Monat unterstützen, bis sie Fuss fassen können. Ihr seid einfach wunderbar - Danke von Herzen! Ein riesiges Dankeschön geht auch an Daniel und Päuli – ohne Euch hätten wir nicht mal zu träumen gewagt, nicht angefangen und es schon gar nicht durchgestanden. Auch Maya, Paul, Klaus-Franz, Marianne, Frau Weissinger, … möchte ich unbedingt danken. Und ein ganz besonderer Dank gilt dem Solinetz St. Gallen und Wil. Ohne Euch wäre die Privatplatzierung, die Begleitung und die Integration der Familie Omer nie gelungen. Ihr wart die Brücke zwischen Menschlichkeit und System – zwischen Hoffnung und Realität.


Gemeinsam haben wir gezeigt, was Menschlichkeit bedeutet, und dass man es zusammen schaffen kann. - Herzlichen Dank für Dein Helfen!


Ich bete jeden Tag, dass meine Kinder nie in eine solch schlimme Situation geraten, wie Omers. Und falls doch, bitte ich darum, dass da liebe gute Menschen sind, die ihnen helfen.


und dankbare Grüsse - Coni Heule




“Niemand ist nutzlos in dieser Welt, der einem anderen die Bürde leichter macht.” Charles Dickens
“Einem Menschen zu helfen, mag nicht die ganze Welt verändern - aber es kann die ganze Welt für diesen einen Menschen verändern.” Unbekannt
“Wenn jeder dem anderen helfen wollte, wäre allen geholfen.” Marie von Ebner-Eschebach

 
 
 

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